21-09-2004
Aus der Natur ins Türmle
Kunstverein Herdenheim: Skulpturen von Ilaria Locati
Und da war's dann auch schon passiert. Eine Dame mit weißer Handtasche hatte “Die Geburt der Berge” touchiert und mit den Zehenspitzen die zum Werk gehörende, zwei Meter lang auf dem Fußboden ausladend in das erste Stockwerk im Türmle hereinragende Schotterstrecke etwas aus der Fasson gebracht.
Kunst, die nicht an der Wand hängt, ist nun einmal gefährlich. Und gefährdet, Denn kaum, dass die Verursacherin des Unfalls diesendurch das recht nah an den Urzustand heran reichende Ausrichten der Steine behoben hatte, schritt weiteres Ungemach in Gestalt eines Herrn in den Raum, der mit den Augen einen Bekannten erblickte und, auf diesen zu eilend, mit dem Schuhwerk prompt den Schotter pflügte.
Wie gut, dass auch dieser zweite Fauxpas klammheimlich behoben wurde, ehe Franklin Pühn am Freitagabend im Domizil des Heidenheimer Kunstvereins zur Eröffnung der Ausstellung “Aus der Natur” mit Objekten und Skulpturen der italienischen Künstlerin Ilaria Locati schritt.
Auch die aus Mailand gebürtige Bildhauerin dürfte in der drangvollen Enge im T&uouml;rmle kaurn die klitzekleinen Veränderung an ihre Werk bemerkt haben. Und wenn doch, dann entschied sie sich, zu schweigen, und unterschied sich so vollkommen von der ja nicht unbedingt aus schlechten Witzen bekannten Art von Künstlern, die wutschnaubend durch die Galerie stapft, weil man einen Kreis verkehrt herum aufgehängt hat.
Womöglich hätte Ilaria Locati ja die leichte Veränderung an einem ihrer Werke sogar goutiert, weifß doch jemand, der derart die Natur in den Mittelpunkt seines Schaffens stellt, erst recht darum, dass die größte Bedrohung für deren Gleichgewicht immer noch vom bewussten oder unbewussten Eingreifen des Menschen ausgeht.
”Transformierte Kunstwerke aus dem Schoß der Natur” nennt Franklin Pühn das, was nun noch bis zum 23. Oktober im Türmle zu sehen sein wird. Und die auf drei Stockwerke verteilten neunzehn Objekt und Skulpturen weisen die 30jährige Italienerin als so etwas wie die Jägerin des unscheinbaren Schatzes aus. Demzufolge gilt ihr Interesse vor allem dem, was in der Natur so scheinbar selbstverstandlich erscheint, dass es niemandem in den Sinn käme, groß Notiz davon zu nehmen.
Ilaria Locati aber sammelt und bewahrt Blätter, Federn, Steine, Sand vom Fluss, Holzreste, Tierknochen, Pflanzensamen und so manch anderes und benutzt diese Dinge, um sie, die, wie alles in der Natur, dort einen unverzichtbaren Sinn haben, nun für die sogenannte Krone der Schöpfung vom Sinn her neu zu gestalten und so womöglich im Bewussten des Betrachters den Sinn fur den Wert der Natur zu erweitern oder gar neu zu entfachen.
Mag ein wenig konstruiert klingen, zugegeben. Aber wer sich der Sicht auf die Dinge, wie sie Ilaria Locati sieht, erst einmal mit Kopf und Gefühl öffnet, befindet sich ganz schnell auf einer sehr spannenden Entdeckungsreise.
Manfred F. Kubiak