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15-12-2006
Einführungsrede zur Ausstellung "Ilaria Locati - Essenza della terra"

Meine Damen und Herren,
die Erfahrung, beim Betrachten eines Kunstwerks unmittelbar berührt zu werden, ist ein untrügliches Merkmal für Qualität, für Substanz seitens des Werks.
Und solch ein unmittelbares Berührt-Sein habe ich erlebt, als ich zum ersten Mal einen Katalog mit Werken Ilaria Locatis in die Hände bekam. Das war schon vor einiger Zeit, ich wusste damals noch nicht, dass ich die schöne Aufgabe bekommen sollte, bei einer ihrer Ausstellungen zu sprechen.
Unmittelbar fasziniert hat mich die spezifische Materialität der Arbeiten. Locati verwendet Materialien und Stoffe aus der Natur: Metalle, Erde, Sand, Holz, Pflanzensamen, Federn, Knochen und manches mehr, offenbart damit einen umfassenden Blick auf die Natur, repräsentiert und vereint die verschiedenen "Reiche" dar Natur, nämlich das Mineralische, das Pflanzliche und das Tierische.
Wie auch bei den Künstlern der "Arte povera" sind das vordergründig "einfache" Materialien. Dabei handelt es sich einerseits um Fundstücke aus der Natur, zum andern aber auch um Stoffe, die einen mehr übergreifenden Charakter haben, die über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg regelrecht an Bedeutung aufgeladen wurden und eine große Kulturhistorie in sich tragen.
Ich spreche da etwa vom Salz, auf dessen essentiellen Charakter Locati auch im Titel einer Arbeit Bezug "Essenza della terra", ich spreche aber auch vom Blei.
Blei hat die Eigenschaft zu schützen, abzuschirmen, es ist aber auch eines der klassischen sieben Metalle, das dem Saturn zugeordnet wurde, somit nicht nur eine Affinität zum melancholischen Temperament mitschwingen lässt, sondern auch zu tun hat mit Alter, Zeit und Gedächtnis. Gedächtnis im Sinne des Bewahrens eines Andenkens, eines Gedenkens.
Und diese Aspekte – Schützen, etwas ungemein Wertvolles bewahren - spiegeln sich auch in vielen Arbeiten Locatis wider. Wie heilige Reliquien sammelt und bewahrt sie Tierknochen in einem alt, dennoch zeitlos scheinenden, ganz archaisch anmutenden Holzschrein auf und nennt diese Arbeit "animali sacri" –Heilige Tiere.
Diese Arbeit ist nun hier in Biberach nicht zu sehen, ich führe sie aber dennoch mit samt ihrem Titel gern an, um auch diesen heiligen Ernst deutlich zu machen – ich habe ja gerade eben von Reliquien gesprochen – der für Locatis Umgang mit diesen der Natur entstammenden Materialien so typisch ist.
ähnlich geartete Arbeiten sind beispielsweise "Das Gewissen der Erde" oder "il segretto della natura" – das Geheimnis der Natur. Hier sind es Pflanzensamen, die als wertvolle Schätze in bleiernen Kisten bewahrt, gesammelt und in ihrem Potential auch verdichtet werden.
Die auf den Kisten erkennbare Schrift ist eine von der Künstlerin erfundene Schrift, die aber ganz bewusst Assoziationen weckt an Alphabete der frühen Antike, etwa an die mykenische Silbenschrift oder die der Etrusker.
Auch hier sehen wir wieder das Element der Archaik; der Betrachter ist konfrontiert mit einem Artefakt scheinbar hohen Alters, das sich jedoch einer eindeutigen Datierbarkeit entzieht.
Ich habe davon gesprochen, dass die Materialen in diesen Arbeiten regelrecht "geheiligt" werden. Wem das zu pathetisch klang, dem biete ich die Begriffe "adeln" oder auch "veredeln" an. Letzteres geradezu metaphorisch hingestellt mit der Arbeit "legno dorato" – ein mit Blattgold versehenes Stück Holz.
Aber auch diejenigen Werke Locatis, die auf die Formen rechteckiger Truhen, Kisten oder Schreine verzichten und sich ganz der organischen Formensprache widmen, wie etwa die aus Wachs und Holz gefertigte Arbeit "il sogno di dio" – Gottes Traum, haben diese bergende und aufnehmende Geste an sich.
Worum geht es hier also? Es geht erst mal nicht um "Schönheit" im alltäglichen Sinne eines Dekors. Ilaria Locati ist keine Künstlerin, die in die Natur geht und später ein paar Mitbringsel dem Auge gefällig arrangiert, so wie ein Florist ein Blumenbouquet zusammen stellt.
Ihr Ansatz ist ganz anders. Aus einem tiefen Gefühl gegenüber der Natur – ich habe vorhin von "heiligem Ernst" gesprochen – stellt Locati Beobachtungen an – sie spricht dabei von einem Streben und Forschen nach Wahrheit – und sensibilisiert sich dafür, wie immens wichtig jedes einzelne noch so unscheinbar wirkende Element für den Kreislauf der Natur ist.
Und diese gefühlte Erkenntnis anhand der Natur, anhand der Materie selbst, die wie Locati sich ausdrückt, "den Begriff des Lebens schon in sich birgt und als lebendiges Element der Erde entsteht und existiert", diese Erkenntnis transformiert sie mit den Mitteln ihrer Kunst.
Wachstum, Werden, Vitalität werden mit dem Vergehen, dem Absterben, dem Tod zu einem organischen Kreislauf gebracht, zu einer wahren und stimmigen Einheit aufgehoben.
So gelangt Ilria Locati zu einer Form von Schönheit und Wahrheit in einem viel höheren und umfassenderen Sinn, als man diese Begriffe für gewöhnlich versteht.
"Die Wahrheit der realen Welt" – so die Künstlerin wörtlich – "ist nichts anderes, als die Welt der Natur selbst".
Und mit dieser essentiellen Aussage darf ich Sie ihrer eigenen Erkenntnis überlassen.

Florian Stegmaier

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