RezensionenZeitungsartikel

18-06-2004
Einführungsrede zur Ausstellung "Inhalte"

Es sei alles ganz einfach, nichts sei kompliziert an ihrer Kunst, sagt Ilaria Locati, es sei keine Erklärung nötig, nur einen Impuls wolle sie geben, die Schönheit der Natur zeigen.
Sie sollen heute abend nicht hinaus in die Natur entführt werden, ausnahmsweise kommt die Natur zu Ihnen, vielmehr das, was davon übriggeblieben ist: In Kisten und Kassetten verpackt, geschichtet, in verwitterten Holzplanken gerahmt, in Blei gefaßt, auf Blei- oder Eisenplatten angeordnet, Baumstümpfe, Samen verschiedener Gräser, Tannenzapfen, von Eichhörnchen abgenagt, getrocknete Steinbockköttel, Gipsabdrücke von Reiherspuren, Tierknochen, Reste von Flußkrebsschalen, Vogelfedern, Stachelschweinstacheln, oft Überbleibsel tödlicher Kämpfe, Lebens- und Todesspuren.
Alles das und noch viel mehr hat Ilaria Locati in schmerzhafter Liebe zur Natur gesucht, gesammelt, gehortet, archiviert, wertgeschätzt, wie Preziosen gefaßt und behandelt.
Ilaria Locati ist beides, Naturforscherin und Künstlerin. An der Brera, der renommierten italienischen Kunstakademie, erhielt sie ihr Diplom als Bildhauerin und besuchte außerdem naturwissenschaftliche Vorlesungen an der Uni. In Mailand ist sie geboren. Ihr Vater ist Mailänder, die Mutter stammt von einem Bauernhof in der Emilia-Romagna. Dort, auf dem Land, am Fluß, bei den Großeltern, verbrachte sie die Kindheit, dorthin kehrt sie immer wieder zurück.
Stadt, Land, Fluß: Auch die Stadt darf man in diesem Kontext nicht vergessen, denn es ist die Stadt, wo Ilaria Locati ihre künstlerische und intellektuelle Ausbildung erhielt, wo die Sehnsucht nach der Natur ins schier Unerträgliche wuchs und von wo sie immer wieder entfliehen mußte aufs Land, an den Fluß, in die Berge der Emilia-Romagna.
Viele der Behältnisse, in die sie ihre Fundstücke zur letzten Ruhe bettet, formt sie aus der Erde dieser Gegend, ihrer Erde. Die meisten ihrer Fundstücke stammen von hier. Sie sammelt die Steine der Berge, ihrer Berge, den Sand des Flusses, ihres Flusses, sie streift durch die Wildnis dieser Landschaft und trägt zusammen, was sie findet.
Anderes hat sie auf Reisen in andere wilde Regionen gesammelt. Die Steinbockköttel fand sie zum Beispiel im Aosta-Tal, die Lämmerknochen in Schottland, die Reste der Beute des Königsfalken auf Sardinien.
Die Schönheit der Natur zu zeigen, das Entzücken und die Traurigkeit, das ist ihre Arbeit. br>Frage: Wozu braucht es eigentlich die Kunst, wo doch die Natur schon so wunderbar ist?
Kunst und Natur, das war schon immer eine spannende Angelegenheit. Das fing schon mit den Künstlern der Vorzeit an, die in zauberischer und beschwörender Absicht ihre Jagd- und Beutetiere auf die Höhlenwände bannten und so der Natur und den Mächten der Schöpfung ins Handwerk zu pfuschen gedachten, denn selbst Schöpfer sein zu wollen, das ist Menschennatur.
Und stets fungierte die Natur in der Kunst als Ab- und Inbild der Menschenseele.
Bei Ilaria Locati, so kommt mir vor, und ich glaube mich nicht zu täuschen, ist es jedoch noch einmal etwas anderes. Man könnte sagen, sie habe eine feine kleine Produktlinie geschaffen, und wo Öko draufstehe, sei auch Öko drin, so daß sie sich weitgehender Zustimmung aller Gutgesinnten und Umweltbewußten sicher sein darf. Doch so oberflächlich verhält sich die Sache wohl nicht.
Tatsächlich stellt sie ihre Kunst ganz in den Dienst der Natur. Sie benutz die Fundstücke nicht für ihre Zwecke, in der Art von Objets trouvés oder Readymades, sondern sie feiert sie, sie beweint sie, sie bewahrt und beschützt sie und läßt ihnen mit der Art ihrer kunstvollen und ästhetischen Aufbewahrung die Hochachtung angedeihen, die ihnen zusteht.
Und gleichzeitig liefert sie uns lesbare Zeichen der Energien, des Gleichgewichts der Kräfte, der Feindschaften und Antagonismen, die in der Natur bestehen, etwa zwischen Eisen und Salz, zwischen Reihern und Flußkrebsen, zwischen Raubtieren und ihrer Beute.
Das Gesammelte, in Schubladen Verstaute bedeutet eine Befreiung aus dem Schutt der Einzelheiten, eine Strukturierung der Welt, denn jedes Fundstück, jedes Material der Aufbewahrungsutensilien ist ein Teil ihrer eigenen Geschichte und hat einen Bezug zu ihrer eigenen Person.
In einer Gesellschaft der Jäger und Sammler würde sich Ilaria Locati allenfalls mit den Sammlern solidarisch erklären. Unter diesem Aspekt ist ihre Kunst durchaus utopisch. Denn noch herrscht, wie wir täglich sehen, nicht nur in der Natur, sondern auch in der Menschenwelt das Fressen und Gefressenwerden vor.

Lilo Wirth

hergestellt von ABC Design